Morgen, morgen, nur nicht heute…

Wie oft trösten wir uns mit den Worten ‚Morgen, morgen, nur nicht heute…‘ aus dem Kinderlied von Christian Felix Weiße (1726-1804), und verschieben längst überfällige Steuererklärungen, von vor Wochen abzugebende Studienarbeiten oder zu schreibende Rechnungen um einen weiteren Tag. Morgen, ja morgen wird alles anders. Morgen beginnen wir mit der Semesterarbeit, morgen rufen wir endlich beim Arzt oder Zahnarzt an und vereinbaren den bereits angemahnten Termin. Morgen räumen wir unseren Schreibtisch auf, bestellen den Handwerker und bearbeiten die lange To-Do-Liste, die seit Monaten unverändert auf unserem Schreibtisch liegt, … Vermutlich schieben wir alle Dinge vor uns her, die wir aus den verschiedensten Gründen und mit den unterschiedlichsten Ausreden zwar morgen, heute jedoch nicht anpacken können. Obwohl wir wissen, dass wir das, was wir heute besorgen können, nicht auf morgen verschieben sollten, wie ein Sprichwort sagt. Offenbar ist das Aufschieben von Arbeiten keine Erscheinung unserer Zeit, sondern war auch schon früher für die Menschen eine Herausforderung. Sie hätten sonst keine Kinderlieder darüber geschrieben, und es hätten sich keine motivierenden Sprichwörter dafür gefunden.

Weshalb ist es für uns manchmal ganz einfach, eine vor uns stehende, durchaus unangenehme Aufgabe sofort und mit Leichtigkeit zu erledigen und beim nächsten Mal lassen wir sie quälend lange liegen, manchmal zu lange, mit allen Konsequenzen? Eine klare und eindeutige Antwort gibt es darauf nicht. Die inneren Ursachen für das Aufschieben, für das Vertagen können vielfältig sein, z. B. Angst vor dem Versagen, ein verschobenes Selbstbild, Bequemlichkeit und die Erfahrung, dass der andere es dann schon für einen erledigt oder die mangelnde Fähigkeit, abzuschätzen, wie lange es dauert, eine Aufgabe tatsächlich zu Ende zu bringen. Manchmal blockieren uns auch innere Widerstände, denen es dann gilt, mit Hilfe eines Therapeuten oder eines Coaches auf die Spur zu kommen. Oder wir brauchen eine starke äußere Motivation, damit wir aufhören, Dinge vor uns herzuschieben, wie die drohende Gebühr, die wir bezahlen müssen, wenn wir die Steuer nicht fristgemäß abgeben.

Für die meisten von uns ist das Vor-Uns-Herschieben keine größere Belastung. Irgendwann setzen wir uns hin und packen die ungeliebten Sachen doch an. Problematisch kann es werden, wenn wir unter unserem Aufschieben seelisch und körperlich leiden und uns ständig Selbstvorwürfe machen. Dann sollten wir uns Hilfe von außen suchen.

 

Checkliste

 

1.) Wenn wir Meister in Ausreden sind und uns vor einer vor uns stehenden Aufgabe mit Sätzen drücken, wie, ‚das schaffe ich heute eh nicht mehr, ich mache es lieber morgen…‘, dann gehören wir vermutlich zu den Vermeidungsaufschiebern. Eher als Erregungsaufschieber zu charakterisieren sind wir, wenn wir alles gerne auf den letzten Drücker machen und dann den Kick genießen, es doch geschafft zu haben.

2.) ‚Aufschieberitis‘ geht häufig einher mit Perfektionismus. Weil wir innerlich wissen, wir können die uns selbst gestellte Aufgabe sowieso nicht perfekt erledigen, fangen wir sie erst gar nicht an. Erlauben wir uns selbst, unseren Anspruch perfekt sein zu müssen, aufzugeben, dann kann es uns leichter gelingen, eine anstehende Aufgabe auch anzupacken.

3.) Tipps gegen Aufschieberitis gibt es viele. Nicht jeder Tipp ist für jeden Menschen geeignet. Deshalb können zwei bis drei Anläufe nötig sein, bis wir den für uns passenden Weg gefunden haben. Die altbewährten To-Do-Listen, das Aufteilen von größeren Projekten in kleinere Einheiten, das sich belohnen nach einer geschafften Tätigkeit und sich selbst aufbauende Gespräche wie, ‚noch ein paar Minuten bleibe ich dran am Projekt und erst danach koche ich Kaffee‘ helfen in vielen Fällen.

4.) Haben wir ein Ziel oder ein Teilziel erreicht mit einem für uns stimmigen Tipp oder eine Aufgabe oder eine Teilaufgabe geschafft, dann belohnen wir uns mit etwas, das uns Freude macht.

5.) Wenn das Aufschieben zu einer seelischen Belastung wird und uns lähmt, dann ist das Gespräch mit einem Coach oder mit einem Therapeuten empfehlenswert.

Tipps zum Lesen

Tobler, Sibylle,  Neuanfänge – Veränderungen wagen und gewinnen, 2010, Klett-Cotta Engelbrecht, Sigrid, Ich müsste, sollte, wollte…, 2011, Orell Füssli Verlag, ISBN: 9783280053973

Oberhessische Presse, 24. 9. 2012, Seite 2

Weiße, Christian, Felix, Kleine Lieder für Kinder, 1776

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