Ahnengalerie

Neulich in München: Weiterbildung in den Seminarräumen einer seit zwei Jahren existierenden Werbeagentur zum Thema Innovation und Design Thinking. Ort: ein schickes mehrstöckiges Bürogebäude mit verschiedenen Firmen wie Innovationswerkstatt, Artwork oder Traumfabrik. Im Innern der Agentur helle Räume mit flexiblen luftigen Möbeln und gleich am Eingang eine lange Bildergalerie fröhlich lächelnder Menschen, alle vor neutralem Hintergrund und in schwarz-weiß fotografiert. „Das sind wir. Gleich nach der Gründung unseres Unternehmens“, beantwortete die junge Firmenchefin fröhlich die Frage der verdutzten Seminarteilnehmer nach dem Ursprung der Bilder. „Wir dokumentieren uns mit den Aufnahmen täglich, dass wir das Büro zusammen gegründet haben.“ Und die Fotos trügen dazu bei, dass „wir uns immer wieder mal daran erinnern, welche Ideen und Visionen uns zu Beginn unserer Agentur wichtig waren und dass sie dies bis heute sind. Die ‚Ahnengalerie‘ hat möglicherweise sogar ein wenig zu unserem raschen Erfolg beigetragen. Ein Blick darauf genügt, und wir wissen, woher wir kommen und was wir erreichen möchten. Wir identifizieren uns mit uns selbst. Konflikte haben wir selten.“

Es wäre vermessen zu behaupten, eine Ahnengalerie in einem Unternehmen oder in einer Abteilung sei ein Allheilmittel gegen Konflikte und nicht in jeder Firma oder Behörde ist eine Fotogalerie möglich. Führungskräfte und Unternehmensleitung können jedoch gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herausarbeiten, womit sich die Angehörigen des Unternehmens identifizieren können und wie eine gemeinsame Identität aussehen aussieht, die jedem Einzelnen dennoch genügend Freiheit lässt, neben seiner sozialen Rolle im Unternehmen auch die eigene Persönlichkeit im Rahmen seiner Tätigkeit aus- und weiterzubilden. Und manchmal reichen bereits 15 professionell fotografierte Porträts von ganz unterschiedlich aussehenden und präsent wirkenden Kolleginnen und Kollegen aus, eine Identität zum Unternehmen und zu seinen Zielen herzustellen.

Möglicherweise trägt dann der tägliche Blick auf die Ahnengalerie und die damit unbewusst einhergehende Erinnerung an das Verbindende tatsächlich dazu bei, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei Projekten zielstrebiger miteinander kommunizieren, die eigenen Interessen dabei auch mal auf die Seite schieben und dem anderen mit dem eigenen Wissen weiter helfen. Schließlich hängen sie als Individuen an der Wand, jeder so, wie er gerne fotografiert und abgebildet werden wollte und festgehalten zu einem Zeitpunkt, da sich alle auf ein gemeinsames Ziel verständigt hatten – die Mitwirkung in einer erfolgreich arbeitenden Agentur.

 

Tipps zum Lesen

 

Eibl-Eibesfeld, Irenäus, Sütterlin, Christa, Weltsprache Kunst: Zur Natur- und Kunstgeschichte bildlicher Kommunikation,

2008, Brandstätter Verlag, ISBN: 9783850332637

Prinz, Wolfgang, Selbst im Spiegel. Die soziale Konstruktion von Subjektivität,

2013, Suhrkamp Verlag, ISBN: 9783518585948

Thomas Assheuer, Ulrich Schnabel, Die soziale Ich-Maschine, Unser Gehirn erzeugt Subjektivität, Gespräch mit Wolfgang Prinz, Die Zeit, 10. 6. 2010, Nr. 24, http://www.zeit.de/2010/24/Prinz-Interview

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