Märchenglück! – Glück nur im Märchen?

Mein Lieblingsbuch in meiner Kindheit war das „Doppelte Lottchen“ von Erich Kästner. In der „Coaching-Sprache“ ausgedrückt faszinierte mich unter anderem an dem Roman für Kinder, wie die beiden eineiigen Zwillingsschwestern nach der überraschenden Begegnung im Kinderheim ihre Perspektive wechselten. Die Eltern von Lotte und Louise hatten sich nach der Geburt ihrer Kinder getrennt. Die stille und fleißige Lotte wuchs bei ihrer Mutter in München auf, die temperamentvolle Louise beim Vater in Wien. Bis zur ungeplanten Begegnung im Kinderheim wussten sich nicht, dass sie eine Zwillingsschwester haben. Im Kinderheim beschlossen sie dann, die Plätze zu tauschen, statt brav zu dem jeweiligen Elternteil zurückzukehren. Lotte fuhr nach Wien, Louise nach München. Sie stellten sich damit vor die Herausforderung, sich an eine für sie ungewohnte und gänzlich neue Umgebung anzupassen und damit den Blick auf das eigene Leben zu verändern. Die Zwillinge brauchten dazu Mut, eine genaue Planung und einen intensiven Informationsaustausch. Sie wussten, ohne sorgfältige Vorbereitung würde ihr Versuch, ihre getrennt lebenden Eltern wieder zusammen zu bringen, nicht gelingen. Mit ihrem Experiment des Perspektivenwechsels veränderten sie nicht nur ihr eigenes Leben, sondern das ihrer Familien, Freunde und Schulkameraden.

Erich Kästner hatte sicherlich kein Coaching oder Managementtraining im Sinn, als er für Kinder das „Doppeltes Lottchen“ schrieb. Aber wie z. B. den Gebrüdern Grimm, die mit sehr viel Engagement Märchen sammelten, ging es ihm vermutlich um die grundsätzlichen Botschaften, die sich in den Geschichten und Märchen finden ließen und lassen.

Die Erfahrungen und Erlebnisse, die uns früher Kinder- und Märchenbücher vermittelt haben, können wir heute noch einmal und auf andere Art nutzbringend für uns einsetzen, um uns beruflich und persönlich weiter zu entwickeln: In Management Trainings werden inzwischen auch Märchen und ihr Inhalt gezielt eingesetzt, weil wir uns meist gut daran erinnern und deshalb in Trainingseinheiten für uns leichter nachvollziehbar und rascher umzusetzen sind als viele theoretischen Ausführungen. Außerdem bringen Kinder- und Märchenbücher ihre „Nachrichten“ meist zielsicher auf den Punkt.

Versetzen wir uns einmal aus der beruflichen Perspektive in das Märchen vom Aschenputtel und beschreiben seinen Inhalt in der Sprache des Coachings: Aschenputtel sieht sich heftigem Mobbing (Manager Magazin, Heft 128, S. 43) und starker Ablehnung durch seine „Vorgesetzten“, seiner Stiefmutter und seinen Vater ausgesetzt und durch ihren „Kolleginnen“, den Stiefschwestern. Mit ihrer unerträglichen Situation geht Aschenputtel unerschrocken und souverän um. Sie vertraut ihrer inneren Kraft, zeigt Mut und trotz der permanenten Erniedrigungen bleibt sie hilfsbereit und Mensch und Tier gleichermaßen zugewandt. Und sie zögert nicht lange, als ihr der Prinz die Chance bietet, die sie mobbende Familie hinter sich zu lassen. Am Ende teilt sie sich sogar die Leitung des neuen Unternehmens – das Königreich ihres Prinzen.

Vielleicht haben wir als Kinder noch nicht verstanden, welche Botschaft das Märchen Aschenputtel uns vermitteln möchte. Es erzählt uns, dass wir selbst aussichtslos erscheinende Situationen meistern können, wenn wir uns selbst vertrauen und uns auf unsere Stärken verlassen. Bis heute eine ziemlich gute Botschaft. Da ist ein strahlender Ritter auf dem weißen Pferd oder ein Prinz gar nicht erforderlich.

Danke Erich Kästner und Gebrüder Grimm!

 

Tipps zum Lesen

Grimm’s Märchen

Kästner, Erich: Das doppelte Lottchen

Manager Magazin, Heft 128, Nov. 2008, S. 40-44

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