Ruhe, bitte – ein Plädoyer

Lautes Lachen auf dem Flur, durchdringende Stimmen am Telefon, Kollegen, die ohne anzuklopfen ins Zimmer stürmen und sofortige Aufmerksamkeit erwarten: ständige Unruhe und permanenter Lärm im Berufsalltag können zur Belastung werden. Selbst leise Geräusche, die regelmäßig auftreten, sind in ihrer Penetranz nervtötend. Heute haben viele Menschen eine berufliche Tätigkeit, die weniger Routine als viel mehr Konzentration verlangt. Und da beginnt in vielen Büros der ‚Stress’. Während die einen sich am wohlsten fühlen, wenn es um sie herum brummt, brauchen die anderen eine Umgebung ohne viel Ablenkung. Angesichts klickender Smartphones, lauten Telefonaten, längeren Diskussionen von Kollegen direkt neben dem eigenen Schreibtisch, ratternden Maschinen oder von Hintergrundmusik bleibt für sie Stille im Beruf jedoch oft ein unerfüllter Traum.

Einige Lärmquellen lassen sich zumindest ‚leise stellen‘. Gegen laute Tastaturen des PCs hilft manchmal schon eine weiche Unterlage, Smartphones haben einen Aus- oder Vibration-Knopf. Drucker brauchen keinen ‚Rockzipfel’-Platz neben dem Schreibtisch. Nur, wo haben die Flurgespräche liebenden Kollegen ihren Drehknopf für die Lautstärke? In den meisten Büros reicht ein höfliche Bitte, um ihre Gespräche zu dämpfen. Manchmal jedoch nutzt freundliches Bitten wenig. Immer dann, wenn Kollegen ihre laute Stimmen als Machtinstrument nutzen und damit bewusst versuchen die Grenzen der Kollegen überschreiten. Oder wenn sie ins Zimmer hineinstürmen und unaufgefordert anfangen zu reden. Nach der Devise, wer lärmt, hat Recht. Und wer lospoltert ohne Rücksicht auf den anderen, macht deutlich, dass einzig und allein sein Anliegen wichtig ist.

Was tun mit Ruhestörern, Bürostürmern und Flurtratschern? Was tun, damit wir wenigstens ein bis zwei Stunden in der Woche Ruhe haben für komplizierte Aufgaben? Der wichtigste Schritt ist, zu erkennen, dass wir uns dafür entscheiden müssen. Denn einerseits stören uns die quatschenden Kollegen. Andererseits sind wir doch gerne mit halbem Ohr dabei. Schließlich wollen wir wissen, was der Flurfunk gerade so sendet. Kommunikation ist alles.

Vielleicht liegt hier der Haken der Geschichte. Wir haben verlernt, uns zu konzentrieren. Angesichts einer Fülle an Informationsmöglichkeiten On- und Off-Line, an Meetings, Memos, cc-Emails usw. vergessen wir, dass wir ein Problem kaum dadurch lösen, mit ‚gut, dass wir darüber gesprochen haben…‘. Wir schaffen dies einzig und allein dadurch, in dem wir uns zunächst umfassend informieren und uns dann auf die einzelnen Schritte konzentrieren, bis wir das Ziel erreicht haben und die Herausforderung bewältigt ist.

Und oft braucht es hierfür eine ruhige Arbeitsatmosphäre. Ein Schild an unserem Einzelbüro, dass darum bittet, uns bis zu zum Zeitpunkt X nicht zu stören. Oder die Vereinbarung, eine geschlossene Tür eines Kollegen oder eines Vorgesetzten heißt, im Moment Besprechung, bitte nicht betreten. Im Mehrpersonenbüro kann auch ein nettes Schild am Schreibtisch helfen, mit ‚ich bin gleich wieder für Sie da‘. Manchmal lassen sich in Unternehmen sogar Orte der Stille finden. Leere Besprechungsräume zum Beispiel oder Büros von Kollegen, die in Urlaub sind.

Damit sind die Lautquatscher zwar für einen Moment ausgeschaltet. Auf längere Sicht hilft jedoch nur ein höfliches Zurückweisen ihrer ständigen Fragen und Anmerkungen. Etwa mit Sätzen wie ‚im Moment kann ich nicht, ich komme in fünf, fünfzehn oder fünfzig Minuten gerne wieder auf Sie zu‘. Ändert sich auch nach mehrfachen Bitten nichts, dann bleibt nur noch ein freundlich-energisches ‚Ruhe. Bitte‘.

Mehr zum Thema

1.) In vielen Unternehmen, Institutionen und Behörden gilt bis heute: Ruhe für ihre Arbeit brauchen nur Führungskräfte und Angestellte in gehobenen Positionen. Mehrpersonen- oder Großraumbüros dagegen sind für ‚normale‘ Mitarbeiter ausreichend. Ihr Wunsch nach ruhigen Arbeitszeiten und nach Orten der Stille wird deshalb kaum Rechnung getragen. Dabei ließen sich in vielen Fällen sogenannte „gemischte Bürowelten“ schaffen, sagt Hanns-Peter Cohn, Vorstandsvorsitzender eines schweizerischen Unternehmens, der sich nicht nur von Berufs wegen mit der Geschichte und der Entwicklung von Arbeitsplätzen in der Zukunft befasst. Arbeit bestehe heute zum einen vorwiegend aus konzentrierter Tätigkeit, dann wieder aus Austausch und Gesprächen. Künftig geht es noch weniger um Arbeitsplätze, als vielmehr darum, wie sich „eine Infrastruktur für die Wissensarbeit“ schaffen lässt. Das gelingt durch Orte für konzentriertes Arbeiten, durch Plätze für Kommunikation und durch eine Unternehmenskultur, die erkennt, dass mehr und mehr Maschinen die Routinearbeiten machen. Die Menschen werden sich dagegen zunehmend auf komplexe Fragestellungen konzentrieren müssen.

2.) Die Suche nach Orten der Stille ist nicht neu: Im Mittelalter entschieden sich Menschen, die konzentriert und kreativ arbeiten wollten, häufig für den Eintritt in ein Kloster. Sie boten häufig die einzige Chance, im Lärm der Dörfer und Städte Ruhe zu finden.

3.) Manchmal scheint der Austausch an Fakten und Informationen über ein Problem wichtiger zu sein, als es zu lösen. Meeting für Meeting werden einzelne Punkte angesprochen, als wichtig erachtet und beim nächsten Mal stehen sie wieder auf der Tagesordnung, weil die Zeit gefehlt hat, sich darauf zu konzentrieren oder sich damit auseinander zu setzen. Kommunizieren statt handeln scheint hier das vordergründige Motto zu sein. Aber das ist meist unzureichend.

Tipps zum Lesen

Brand eins: Ruhe, bitte!, Heft 4, 2014

Beiträge, die Sie auch interessierten könnten