Ich musste ja…

‚Was kann ich nur tun. Jedes Mal, wenn ich etwas sage und anrege, kommt von meiner Kollegin der Satz, ich musste ja… und dann eine lange Aufzählung, was sie alles gebraucht hätte, damit sie ihre Arbeit dem übrigen Team zu dem Zeitpunkt zur Verfügung stellt, wie wir es vereinbart hatten.‘ Ulrike H. kann die ständigen Rechtfertigungen ihrer Kollegin nicht verstehen und sagt, inzwischen nervt es sie und alle anderen, von ihr immer wieder anhören zu müssen, weshalb was nicht möglich war, statt das sie einfach ihre Arbeit macht. Und fast immer sind die anderen Schuld, dass eine vorgegebene Arbeit von ihr noch nicht erledigt werden konnte. In manchen Betrieben entstehen aus Rechtfertigungen lange Mail-Ketten mit weiteren Rechtfertigungen oder entsprechend lange Eintragungen in Übergabebüchern für den Dienstwechsel, bei denen am Ende kaum noch einer weiß, worum es am Anfang ging.

Damit eine Arbeit sinnvoll zu leisten ist, braucht es Information. Gleichgültig, ob es um die Anzahl bestellter Brötchen für den Frühverkauf in der Bäckerei geht oder um komplexe Zahlen für die Wirtschaftsprüfung. Meist verlassen wir uns auf die mitgeteilte Information und verwenden sie weiter, denn wir vertrauen dem Informanten. Entsteht aus der Information ein Fehler in unserer Arbeit, dann sind wir schnell dabei zu sagen, „ich bin davon ausgegangen…“ und ignorieren dabei, dass wir die gelieferten Zahlen ungefragt übernommen haben. Und je deutlicher uns bewusst ist, dass der Fehler bei uns liegt, umso heftiger rechtfertigen wir uns. Wenn wir genau hinhören und hinschauen, machen wir uns dabei immer kleiner und unscheinbarer.

Gegen unsere Tendenz, uns immer und überall zu rechtfertigen, gibt es eine Strategie. Der erste Schritt ist zu erkennen und zu verantworten, was wir konkret getan und weshalb wir uns so und so entschieden haben. Meist reicht dann im nächsten Schritt ein ‚ich habe die Zahlen als korrekt angesehen. Mein Fehler, ich ändere meinen Bericht, meine Präsentation oder die von mir gewünschte Aufstellung‘.

Indem wir erkennen, dass wir den Fehler gemacht haben und nicht die Schuld dem anderen zuschieben, verhalten wir uns souverän. Insbesondere, wenn wir dazu noch ausführen, wie wir in Zukunft diese Fehler vermeiden möchten. Zum Beispiel, wenn wir zu spät zu einem vereinbarten Termin kommen und alle Schuld daran sind, inklusive der Autobahn, anstatt zu erkennen und zuzugeben, dass wir trotz Stau mit einem kleinen Zeitpuffer pünktlich hätten sein können. Ein ‚künftig passiert mir das nicht mehr‘ reicht in den meisten Fällen.

Wir rechtfertigen uns aus unterschiedlichen Gründen. Etwa, weil wir die uns gegebene Verantwortung nicht loslassen wollen. Statt zu sagen, diese Aufgabe überfordert mich oder ich kann sie nicht lösen, weil ich nicht die Richtige dafür bin, fühlen wir uns formal weiterhin verantwortlich für ein Projekt und torpedieren mit Rechtfertigungen unsere Verantwortung dafür. Der andere ist schuld, dass uns ein Text nicht gelungen ist, die Maschine einen Kurzschluss hat, der Lieferwagen ins Schlingern kommt. Statt zu sehen, dass wir uns zu viel aufgebürdet haben, die Wartung der Maschine nicht sorgfältig genug war und wir die Winterreifen längst hätten montieren sollen. Der erste Schnee war ein deutliches Signal.

Wir entschuldigen uns ständig bei den anderen, weil wir glauben, wir können uns damit im Einklang mit ihnen bringen und die uns so wichtige Harmonie zwischen uns aufrecht erhalten. Wir fürchten die Kritik unseres Gegenübers, weil wir glauben, unsere Person wird komplett in Frage gestellt, anstatt zu sehen, dass es um ein konkretes und sachliches Problem geht, das auf dem Tisch liegt.

Vielleicht rechtfertigen wir uns an dem einen oder anderen Punkt weniger, nachdem wir das Wort in zwei Hälften geschnitten haben. Recht fertigen lässt sich übersetzen, wir fertigen, wir gestalten unser Recht. Kein Wunder, wenn sich andere von uns genervt fühlen, schließlich hat jeder irgendwo grundsätzlich ‚Recht‘.

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1.) In vielen Betrieben ist es üblich, zunächst eine Entscheidung zu treffen und diese danach zu rechtfertigen. Mit dem Ergebnis, dass die klare Entscheidung durch die Rechtfertigung verwaschen wird und der Eindruck entsteht, der andere weiß entweder nicht, weshalb er sich so entschieden hat oder er traut sich nicht, eine Entscheidung durch zu setzten. Zielführender ist es, zunächst die Herausforderung zu schildern, die Wege zur Lösung zu nennen und dann die Entscheidung für den einen Weg und gegen den anderen darzulegen.

2.) Entschuldigt sich das Gegenüber ständig dafür, dass es überhaupt da ist, dann ist zu prüfen, ob ihr professionelle Hilfe notwendig ist, damit er oder sie mehr Selbstbewusstsein bekommen und sich trauen, mehr Verantwortung zu übernehmen.

3.) Killerargumente, d.h. Argumente, die versuchen, jede Gegenrede im Keim zu ersticken, wie, das machen doch alle, das ist hier so üblich, da hat noch nie einer etwas gesagt, scheinen im ersten Moment unschlagbar zu sein. Übernehmen wir die Verantwortung und sagen, mag sein, dass es alle so machen, ich mache es so und so, weil es für mich so richtig erscheint, schmettern Killerargumente ab. Etwa, alle parken auf Behindertenplätzen. Ein klares ‚nein, ich mache das nicht‘, schickt das Kellerargument ins Leere und macht es wirkungslos.

4.) In bestimmten Fällen ist es berechtigt uns zu ‚rechtfertigen‘ oder eher unsere Entscheidung zu begrünen. Z. B. immer dann, wenn wir nicht die Information bekommen, die wir gebraucht hätten, weil der andere sie uns bewusst vorenthalten hat obwohl er wusste, dass die Information für uns wichtig ist. Denn wir können nicht alles hinterfragen. Wir müssen auch den anderen vertrauen und uns auf sie verlassen können.

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