Ent-Täuschung

Das überstieg ihre Vorstellungskraft: Meiner Klientin fiel es immer noch schwer zu glauben, dass sie sich von ihrem Arbeitskollegen so hatte täuschen lassen. Jahrelang hatte ihr Kollege die von ihr erarbeiteten Ideen, Entwicklungen und Ergebnisse dazu genutzt, sich bei ihrem gemeinsamen Chef als kompetent und unentbehrlich erscheinen zu lassen. Schon seit längerem hatte sie sich gewundert, weshalb ihr Kollege immer wieder gelobt wurde, während ihre Anteile an den Erfolgen der Abteilung kaum Erwähnung fanden. „Ich war einfach viel zu naiv. Ich bin davon ausgegangen, dass er meine Mitwirkung benennt, wenn wir beide etwas gemeinsam entwickelt und erarbeitet haben. Dabei hat er immer nur sich in den Mittelpunkt gestellt.“ Für sie stand die gemeinsame Arbeit, das kollegiale Miteinander ganz oben auf ihrer Wunschliste für eine zufriedenstellende Tätigkeit in ihrem Traumjob als Ingenieurin bei einem Pharmakonzern. Für ihn gab nur das Eine, das eigene berufliche Fortkommen.

In ihrer ersten Verbitterung konnte und wollte sie nicht sehen, dass die Ent-Täuschung über ihren Kollegen ihr langfristig auch weiterhelfen könnte. Zuerst musste sie lernen, ihr Gefühl des Betrogen seins zu überwinden, dann von ihrer Illusion, die sie sich über den Kollegen gemacht hatte, Abschied zu nehmen, um die Wahrheit, dass sie sich selbst getäuscht hatte, allmählich anzunehmen. Im Laufe der Beratung begann sie außerdem, zu überprüfen, ob ihre Phantasien eines selbstlosen und loyalen Kollegen auch etwas mit ihr zu tun hatten. Sie entdeckte für sich, dass es für sie bequem gewesen war, dem Kollegen die Gespräche mit dem Chef zu überlassen. Sie brauchte sich dann einer eventuellen Kritik nicht zu stellen und auch nicht den Launen ihres manchmal recht cholerischen Vorgesetzten.

Inzwischen trainiert sie ihr Selbstbewusstsein und lernt, für sich zu sprechen und ihre Erfolge auch als die ihrigen darzustellen. Ihr Kollege musste inzwischen das Unternehmen verlassen. Wegen mangelnder Loyalität.

Checkliste

Die Checkliste verweist auf Fragen und Erfahrungen aus der täglichen Coaching-Praxis.

 

1.) Wir mögen es nicht, ent-täuscht zu werden und erkennen zu müssen, dass wir uns von unseren Vorstellungen, die wir uns über Personen oder Situationen gemacht haben, verabschieden müssen. Deshalb halten wir oft länger an unseren Täuschungen fest, als es für uns gut ist.

 

2.) Wenn Sie sich ent-täuscht fühlen, nehmen Sie Ihre Gefühle ernst und sprechen Sie mit anderen darüber. Holen Sie sich gegebenenfalls Unterstützung bei einem Coach oder einem Therapeuten.

 

3.) Ent-Täuschung heißt, die Täuschung fällt weg, ich muss und –oft langfristig – ich kann die Wahrheit sehen. Wenn wir erst einmal die Verbitterung und die Trauer über die Ent-Täuschung hinter uns gelassen haben, dann steckt für uns darin die Chance, uns beruflich und privat weiter zu entwickeln und neue Möglichkeiten für uns zu entdecken.

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