Werte und Konflikte

Seit Wochen schwelte im Vertrieb eines IT-Unternehmens ein augenscheinlich nicht lösbarer Konflikt zwischen zwei geschätzten Mitarbeitern. Alle Versuche, auch von Dritten, das Problem zu lösen, scheiterten. Die gegenseitigen Vorwürfe hörten nicht auf. Im Gegenteil. Beide äußerten sich immer lauter und heftiger gegenüber dem anderen. Versuche von Kolleginnen und Kollegen, die Kontrahenten zu beschwichtigen, schlugen regelmäßig fehl. Für Thomas P., Vorgesetzter der beiden Konfliktbeteiligten, war dies ein unhaltbarer Zustand, den er auch vor der Geschäftsleitung nicht länger verbergen wollte. Er suchte Hilfe in der Coaching-Beratung. Auslöser des Konflikts waren die diametral unterschiedlichen Vorstellungen der beiden Mitarbeiter, wie sie Informationen über die Abwicklung von Aufträgen ihrer Kunden festhalten und weitergeben. „Für uns ist Information wertvolles Kapital“, sagt Thomas P. im Coaching. „Wir sind darauf angewiesen. Beide Mitarbeiter wissen dies und bemühen sich ernsthaft darum. Der eine notiert akribisch jedes Detail und speichert alles ab und da ist auch viel Unwichtiges dabei. Während sein Kollege nichts vergisst, außer, wesentliche Absprachen mit Kunden für alle zugänglich zu dokumentieren. Außer ihm kennt dann kein anderer die Vorgänge im Einzelnen.“

Am Ende half Thomas P. ein Perspektivenwechsel auf den Konflikt. Er fragte sich nicht mehr, mit welchen sachlichen und strategischen Mitteln die Konfliktpartner, das gesamte Team und er zur Lösung beitragen können. Vielmehr stellte er in einer Teamsitzung die Frage, welche Sichtweisen die Mitarbeiter auf bestimmte Fragestellungen hatten. „Wir haben dabei lange und ausführlich über die Werte gesprochen, die für uns privat wie beruflich wichtig sind und denen jeder einzelne von uns hohe Priorität in seinem Leben einräumt.“ Dabei stellte sich heraus, dass der eine Konfliktpartner die verständliche Bitte aller im Team, wichtige Informationen, z. B. Vereinbarungen mit Kunden, schriftlich zu dokumentieren und für alle zugänglich zu machen, unbewusst als Eingriff in seine persönliche Freiheit empfand. Sein Kollege ging mit der Grundhaltung an die Arbeit, möglichst unangreifbar zu sein und keine Fehler zu machen und dokumentierte deshalb alles und jedes, statt nur das Wesentliche.

Mit dem Herausarbeiten der unterschiedlichen persönlichen und fachlichen Vorstellungen, wie Kolleginnen und Kollegen konkret mit Informationen bei einem Auftrag umgehen, ließ sich der Konflikt allmählich lösen. Das gegenseitige Kennenlernen der Werte und der Positionen, aus denen heraus die Mitarbeiter ihre Arbeit anpackten und umsetzten, half allen im Team, den Konflikt und die daran Beteiligten besser zu verstehen. „Wir versuchen jetzt, bei Konflikten zu berücksichtigen, dass es unterschiedlichen Wertvorstellungen im Team gibt. Das hilft uns, unsere Meinungsverschiedenheiten schneller anzugehen und zu lösen.“

Checkliste

 

1.) Vereinfacht gesprochen gibt es bei Konflikten im Arbeitsleben zwei Arten: Sachkonflikte und Wertekonflikte. Bei Sachkonflikten haben die Konfliktpartner unterschiedliche Interessen an einem Vorgang oder einem Thema. Einem Sachkonflikt geht meistens voraus, dass die Beteiligten über einen Sachverhalt unterschiedlich informiert sind.

Wertekonflikte entstehen dann, wenn einer oder beide Konfliktpartner dazu aufgefordert oder dazu gezwungen werden, gegen ihre Grundhaltungen zu handeln, die ihnen oft selbst nicht bewusst sind.

2.) Zum Lösen von Konflikten im Beruf gehört gegenseitige Respekt und die Anerkennung des „Andersseins“ des Gegenübers dazu.

3.) Erkennen wir, dass es sich bei einem Konflikt um einen Wertekonflikt handelt, dann kann das gegenseitige Anerkennen der jeweiligen anderen Werte dazu beitragen, gemeinsam herauszuarbeiten, wie künftig die unterschiedlichen Positionen so aufeinander bezogen und gegenseitig angepasst werden, dass ein vernünftiges Arbeiten im Team möglich ist. Gelingt dies nicht, weil einer der beiden Konfliktpartner nicht bereit ist, seine Position zu verlassen und ein Stück weit auf sein Gegenüber einzugehen, dann ist zu prüfen, ob ein Abschied des Mitarbeiters die bessere Lösung ist.

4.) Ein Wertekonflikt kann auch innerhalb einer Person stattfinden: Etwa, wenn ich mir selbst hohe oder zu hohe die Anforderung stelle, meine Arbeit perfekt und unangreifbar mache und darüber meine Familie vernachlässige. Dieser Wertekonflikt kann sich in uns als Gewissensbisse äußern.

Tipps zum Lesen

Scheible, Kurt-Georg: Menschenkenntnis: Personen richtig einschätzen und überzeugen, 2009, Cornelson Scriptor Verlag, ISBN: 9783589236992.

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