Hilfe, ich bin zu alt

Der Papierstapel war fast Daumenhoch. „Alles Absagen“, kommentierte Hans B. die vor ihm liegenden Schreiben, die er in die erste Coaching-Stunde mitgebracht hatte. „Nach der 200. habe ich aufgehört zu zählen.“ Der gelernte Industriemechaniker hatte einen großen Nachteil. Er war über 60 Jahre alt. Seitdem ihn seine ehemalige Firma zusammen mit Kolleginnen und Kollegen betriebsbedingt entlassen hat, „sie haben danach nur junge Kollegen eingestellt, die waren billiger als wir“, versuchte er, wieder eine Stelle zu bekommen. Vergeblich. Sein Auftrag an das Coaching: „Ich kann und will mir einfach nicht vorstellen, dass ich keine Chance mehr haben soll. Was kann ich bloß tun, damit ich doch noch einen Job finde?“

Die Beratung umfasste mehrere konkrete Schritte. Hans B. beschäftigte sich zum einen intensiv mit dem Thema Bewerbung und Bewerbungsmappe und dabei vor allem mit der Frage, wie er sich auch Online als Arbeitssuchender vorstellen kann. „Das war für mich zunächst ungewohnt. Bis ich erleben konnte, dass ich damit durchaus erfolgreich war und endlich zu einem ersten Bewerbungsgespräch eingeladen wurde“.

Mit Hilfe der Arbeitsagentur in seiner Heimatstadt Frankfurt schärfte er sein berufliches Profil als Industriemechaniker und überprüfte, wo es für ihn sinnvoll wäre, sich in seinem Beruf weiter zu qualifizieren. „Ich habe mich im Laufe der Zeit immer weitergebildet, aber vor allem in Bereichen, die für meine Arbeit in meinem ehemaliges Unternehmen von Interesse waren. Jetzt, nach mehreren Qualifizierungskursen in meinem Berufsfeld, habe ich eine noch breitere Angebotspalette an Wissen. Und zusätzlich bringe ich meinen langjährigen Erfahrungsschatz mit“.

Zwei weitere Strategien verhalfen ihm dann zum gewünschten Erfolg. Er ging in seinem Bewerbungen ganz offensiv mit seinem Alter um und beschrieb darin die Vorteile, die ein künftiges Unternehmen hat, wenn es ihn mit seinen bei vielen unterschiedlichen Aufgaben erworbenen Kompetenzen und fachlichem Knowhow einstellt. Außerdem bewarb er sich bei Firmen, die nicht ganz oben auf der Hitliste junger Arbeitnehmer standen.

Am Ende traf er auf einen Firmenchef eines mittelständischen Unternehmens, der sich seit einiger Zeit intensiv mit dem demografischen Wandel und den Auswirkungen auf seine Produktion befasste. „Er empfand mein Alter und meine Erfahrung als Vorteil. Nicht zuletzt, dass ich gelernt habe, die Arbeitsprozesse aus verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen“. Inzwischen plant Hans B., solange zu arbeiten, „wie es geht, mein Arbeits- und Tarifvertrag es erlaubt, und vor allem mein Arbeitgeber mich haben will. Das Rentnerdasein kommt später“.

Checkliste

 

1.) Trotz Hinweise auf den demografischen Wandel finden ältere Menschen immer noch schwerer oder gar keinen neuen Arbeitsplatz.

2.) Laut Statistik ist das Risiko einer Arbeitslosigkeit im Alter umso geringer, je höher die berufliche Qualifikation ist. Akademiker haben das geringste Risiko.

3.) Zum Teil stellen Unternehmen und Institutionen keine älteren Arbeitnehmer neu ein, weil diese sich häufiger flexible und kürzere Arbeitszeiten wünschen. Die Arbeitgeber befürchten zudem, dass ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufiger krank werden, als jüngere.

4.) Umgekehrt wissen immer mehr Arbeitgeber, die Erfahrung mit neuen, älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesammelt haben, dass diese engagiert und besonnen arbeiten und im Team meist ohne Platzhirschallüren auftreten.

5.) Ältere Arbeitnehmer sollten versuchen, mit Hilfe der Arbeitsagenturen oder einem Coaching sich gezielt und intensiv mit dem Bewerbungsprozess auseinanderzusetzen. Dazu gehört auch, sich umfassend die eigenen Kompetenzen zu verdeutlichen und in den Mittelpunkt der eigenen Wahrnehmung zu stellen.

Tipps zum Lesen

Dietz, Martin, Kubis, Alexander, Leber, Ute, Müller, Anne, Stegmaier, Jens: Kleine und mittlere Betriebe im Wettbewerb um Fachkräfte, Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Heft 10 / 2013

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