Selbst gewählte Teilzeit

„Ich wollte langsamer machen. Nach 30 Jahren Arbeit als Kindergärtnerin und jahrelange Leiterin unseres Hauses erschien mir eine Teilzeitstelle als sehr attraktiv. Ich hatte bei uns viele Jahre lang vor allem für unsere fünf- bis sechsjährigen Kindergartenkinder immer ein offenes Ohr und habe viele Kinder in meinen Armen getragen.“

Womit Petra N. bei ihrem Teilausstieg aus ihrem Beruf nicht gerechnet hatte, war, wie schwer es ihr fallen würde, ihre bislang so selbstverständlich gelebte Rolle als Chefin einer privaten Kita an eine jüngere Kollegin abzugeben. „Ich hatte alles geplant. Meine Nachfolgerin habe ich gut eingearbeitet, und ich hatte mit ihr vereinbart, dass ich mich nur dann einmische, wenn sie es sich ausdrücklich wünscht. Es schien alles perfekt zu sein und ich freute mich auf die vermehrte Freizeit mit meiner Familie und meinen Enkelkindern.“ Doch kurz nachdem sie ihre Aufgabe als Chefin aufgegeben und stattdessen eine von sechs Mitarbeiterinnen war, erlebte sie nicht Freude und Begeisterung, wie sie es erwartet hatte, sondern Trauer über den Verlust des beruflichen Ansehens und der vertrauten Arbeitsabläufe. „Ich kam mit dem Rollenwechsel, den ich mir selbst so sehr gewünscht und erträumt hatte, zu meiner eigenen Überraschung überhaupt nicht klar.“

Im Coaching arbeitete sie zunächst daran, was es für sie bedeutet, nicht mehr die gleichen beruflichen Herausforderungen und das damit verbundene Ansehen im Beruf und im Privatleben zu haben wie bislang. „Die bislang vertrauten Abläufe waren anders. Verantwortung, die ich bis vor kurzem noch getragen hatte, fiel für mich weg und damit auch die Anerkennung für diesen Teil meiner Arbeit. Ich hatte das Gefühl, ich habe mich selbst ins Aus manövriert. Ich fühlte mich plötzlich nutzlos und überflüssig und aus der Ecke kam ich nicht raus.“

Zunächst schien auch die Beratung keine Hilfe zu sein. Das Besinnen auf die eigenen Stärken und das Vergnügen an und mit den Enkelkindern waren zwar förderlich, die Trauer über den Verlust der Verantwortung blieb. Petra M. entschied sich dann im Coaching dazu, ihrer Trauer Raum und Zeit zu lassen und sie nicht wegzudrängen, „weil jetzt doch alles gut sei.“ Sie schrieb ihre 30jährige Berufserfahrungen in kleinen Geschichten auf, schmückte ihr Erinnerungen mit Kinderzeichnungen, die sie im Laufe der Zeit gesammelt hatte und gestaltete sich so ein Buch des ‚Abschieds und des Neuanfangs‘. „Das hat mir geholfen. Ich habe gesehen, was ich geleistet habe. Wenn mir vorher jemand gesagt hätte, das ich so heftig mit dem Übergangsprozess von der Chefin zur Mitarbeiterin kämpfen muss, ehe ich die Teilzeitstelle genieße, wie ich es mir herbeigesehnt hatte, dann hätte ich vermutlich laut gelacht und ihm kein Wort geglaubt“.

Checkliste

 

1.) Beim Übergang von einer beruflichen Phase in eine andere übersehen wir leicht, dass es sich dabei zunächst um einen Abschied handelt. Wir müssen das Alte, das Vertraute los- und hinter uns lassen und damit auch ein Stück von unserer beruflichen Identität, ehe wir das Neue anpacken und in unserer neuen Rolle wohl fühlen können.

2.) Für diesen Übergang brauchen wir Zeit. Manchmal länger, als wir es von uns erwartet haben. Selbst Übergangsprozesse, die wir uns selbst ausgesucht und die von uns selbst bestimmt sind, bedürfen einer Reifezeit. Falls möglich, sollten wir uns diese Zeit schenken.

3.) Komplexer wird die Situation des Übergangsprozesses, wenn wir ihn ungewollt erleben müssen. Etwa, weil sich aufgrund von Entscheidungen im Unternehmen unsere berufliche Situation verändert, und wir dadurch unsere bisherige Rolle im Beruf verlieren.

4.) Übergangsprozesse können in der Beratung z. B. durch einen Perspektivenwechsel auf die veränderte Situation unterstützt werden. Weiterhin hilfreich ist dabei, die beruflichen und persönlichen Kompetenzen wieder in den Mittelpunkt des Klienten zu stellen. Im nächsten Schritt kann dann in der Beratung erarbeitet werden, wie die neue Rolle künftig konkret ausgefüllt werden kann.

Tipps zum Lesen

Nohl, Martina: Übergangscoaching. Berufliche Veränderungen kompetent und erfolgreich gestalten. 2011, Junfermann Verlag, ISBN: 9783873877948.

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