Schwerelosigkeit im Rollstuhl

Eine der Höhepunkte der Sportlergala anlässlich der Special Olympics in Hessen (7. – 9. Juli 2015) war der Auftritt der ‚Trampolinis‘. Die teilweise geistig behinderten Trampolin Turner, darunter eine Rollstuhlfahrerin, kamen aus Wilhelmsdorf nördlich des Bodensees. Begleitet von rasanter Musik turnten sie auf dem Sport-Trampolin, zeigten in ca. drei bis vier Metern Höhe atemberaubende Drehungen, Schrauben und Saltos und hüpften dabei auch über ein riesiges Springseil. Nur die Rollstuhlfahrerin saß regungslos und mit unbeteiligtem Gesicht neben dem Sportgerät. Dann wurde sie mühselig von zwei Teamkameraden auf das Trampolin gehievt, ein weiterer Sportler stellte sich hinter sie, hielt ihren Rollstuhl fest und gemeinsam sprangen sie auf dem Trampolin Seil. Immer wieder hob der Rollstuhl ab und flog in die Luft. Und ihr Gesicht verwandelte sich: Statt Regungslosigkeit jetzt Strahlen, Lachen, Glückseligkeit und Freude. Sie schien sich leicht zu fühlen, unbeschwert von der Schwere des Alltags im Rollstuhl. Ganz im Hier und Jetzt und voller Konzentration auf das eigene Tun vergass sie augenscheinlich alles andere. Es ist war Mut, ihre Konzentration und ihr Vertrauen in die anderen Sportler, die es ihr ermöglichten, auf einem Sport-Trampolin zu turnen, was vermutlich nur wenige einer Rollstuhlfahrerin zutrauen.

Deutlicher als durch dieses Erlebnis lässt sich kaum beschreiben, wie sich Leichtigkeit – ja fast Schwerelosigkeit – erreichen lässt, im Sport ebenso wie im Beruf oder im Privaten. Alles um sich herum vergessen, sich voll auf das zu konzentrieren, was gerade zu erleben und zu tun ist und sich selbst sprichwörtlich die Freiheit zu erlauben loszulassen, den Ballast der eigenen Gedanken und Erwartungen – und die der anderen – von sich zu werfen und sich darauf zu fokussieren, was Freude bringt. Und sei es auch nur der kleine Erfolg, endlich all die vielen zeitraubenden und lästigen Aufgaben zu erledigen, weil dann der Raum dafür da ist, die Dinge anzugehen, die im Arbeitsalltag befriedigen.

Psychologen und Berater sprechen von einem ‚Flow‘, von einer ‚Versunkenheit’, wenn es gelingt, in der Arbeit aufzugehen, mit ihr zu verschmelzen, dabei das Zeitgefühl zu verlieren, und am eigenen Tun Spaß zu haben, gleichgültig um welche Tätigkeit es sich handelt. ‚Flow‘ kann motivieren, für Wohlbehagen sorgen und dafür, mit Leichtigkeit schwierige Herausforderungen anzupacken. Vermutlich kann der ‚Flow‘ auch dazu beitragen, dass der für viele zunehmend belastende Berufsalltag am Ende nicht zu stressig ist.

Eine Gefahr besteht allerdings. Ist erst einmal der Flow erreicht, kann dies bei riskanteren Aufgaben dazu führen, dass weniger die Gefahren, als vielmehr die wohltuenden Gefühle im Vordergrund stehen und das Handeln bestimmen.

Flow-Erlebnisse im Beruf lassen sich nicht herbeizaubern. Werden sie bewusst herbei gezwungen, finden sie nicht statt. Sie sind – und dann auch nur vielleicht – zu erreichen, wenn Mut vorhanden ist und die Offenheit, sich auf Neues einzulassen, sich immer wieder auszuprobieren und sei es, eine Aufgabe zu übernehmen, die bis dahin zu schwierig erschien. Wie das Turnen auf dem Sport-Trampolin in einem Rollstuhl.

 

Checkliste

1.) Wann die Leichtigkeit im Beruf stattfindet, wann Flow-Erlebnisse vorkommen, lässt sich kaum vorhersagen.

2.) Ein paar Voraussetzungen helfen, den Flow bei der Arbeit zu ermöglichen: die Ziele und die Regeln für das Erreichen der Ziele sollten klar definiert sein. Rückmeldungen über ein erfolgreiches Tun sollten möglichst zeitnah erfolgen, wie der Beifall nach dem Auftritt der Rollstuhlsportlerin. Und die Aufgaben sollten so gestellt sein, dass sie mit etwas Anstrengung befriedigend zu lösen sind.

3.) Das Versinken in das eigene Tun kann den Blick über den Tellerrand verhindern. Ein Berufsalltag, der nur noch aus Flow-Erlebnissen besteht, motiviert und befriedigt, führt jedoch nur selten dazu, entferntere Ziele zu sehen und danach zu handeln. Hierzu braucht es Distanz zum aktuellen Tun und die Fähigkeit, eine Hausforderung aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zu bewerten.

Tipps zum Lesen

manager magazin: Leistung mit Leichtigkeit, Heft 188, Nov. 2013, S. 38-43

Csikszentmihalyi, Mihaly: Flow und Kreativität, 2015 (2. Auflage), Klett-Cotta Verlag, ISBN: 9783608948226

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