Ist da ein Weg wo ein Wille ist?

Ab sofort laufe ich wieder regelmäßig und höre auf, meine geliebten kleinen Schokoladentäfelchen zu essen. Okay, nein, jetzt nicht, dafür dann ab morgen. Besser noch übermorgen. Denn morgen habe ich einen besonders anstrengenden und voll gepackten Tag, an dem ich keine Zeit habe und umso mehr Energie brauche… Langweilig? Ja, sehr. Denn das beschriebene Theater kenne ich in- und auswendig. Anscheinend laufen im Programm meines Kopfkinos überwiegend solche Wiederholungen. Premieren dagegen finden nur selten statt.

Weshalb fällt es mir so schwer, ein für mich ‚langweiliges‘ oder mich ‚nervendes‘ Programm auszuschalten und mich stattdessen etwas anderem zuzuwenden? Weshalb weiss ich zwar, dass es einen Weg gibt, wo ein Wille ist, gehe ihn jedoch selten oder gar nicht? Obwohl ich genügend Willenskraft habe?

Womöglich, weil Willenskraft zwar notwendig ist, um ein Ziel zu erreichen. Nur, welches Ziel will ich mit meiner Willenskraft erreichen? Das Gewohnte zu bewahren oder etwas Neues auszuprobieren? Beide brauchen gleichermaßen meine Willenskraft. Auch meine x-fach am Tag geführten inneren Dialoge, soll ich oder soll ich nicht… kosten mich mindestens soviel Energie wie mein Entschluss, einfach loszulaufen. Wenn dies stimmt, und Forschungsergebnisse zeigen in diese Richtung, dann kann ich mich künftig nicht mehr damit rausreden,’ dass es mir schwer fällt…, dass es mich anstrengt…, dass ich es nicht schaffe….’ Stattdessen heißt künftig die Antwort auf meine inneren Dialoge entweder: ‚Okay, nein, jetzt nicht. Ich will im Moment nicht. Auch wenn es unvernünftig und schlecht für mich ist‘. Oder ich antworte: ‚ich habe genügend Willenskraft und setzte sie dafür ein, was mir gut tut‘. Z. B. pünktlich los zu gehen, um pünktlich bei der Arbeit zu sein, das nächste Meeting ausreichend vorzubereiten oder die nächste Bestellung rechtzeitig auf den Weg zu bringen.

Allerdings bin ich keineswegs überall standhaft, weder für das Neue noch für das Gewohnte. Oft genug fehlt mir gänzlich die Willensstärke. Sie lässt sich, so österreichisch-amerikanische Psychologe Walter Mischel (*1930), Pionier der Willenskraftforschung jedoch lernen. Denn grundsätzlich seien Menschen dazu fähig, sich zu verändern und Gewohnheiten abzulegen oder sie besser in den Griff zu bekommen. Um mich zielführend zu kontrollieren, empfiehlt er die ‚Wenn-dann-Regel‘ und damit einen konkreten Plan: ‚Wenn es dienstags acht Uhr ist, dann gehe ich ins Fitness-Studio‘. Oder: *Wenn ich esse, dann ab sofort nur noch diese Lebensmittel und jene lasse ich weg.‘ Hilfreich ist es auch, wenn ich einen Sparrings-Partner habe, der mir beim Durchhalten meiner ‚Wenn-dann-Regel‘ hilft. Etwa, in dem er mitmacht oder mich in miteinander abgesprochenen Abständen an meine Regel erinnert.

Vor allem brauche ich Geduld und das Wissen, dass ich meine Willenskraft ähnlich trainieren kann wie einen Muskel durch Sport. Ich stärke sie, indem ich mich nicht verurteile, wenn ich zwischendrin doch mal lieber fernsehe, statt ins Fitness-Studio zu gehen. Und mich dann erneut meiner von mir selbst aufgestellten Wenn-dann-Regel gegenüber verpflichte. Je länger ich trainiere, um so häufiger werde ich feststellen, dass ich durchhalten kann. Auch über Monate. Denn die wenigsten Gewohnheiten lassen sich in zwei bis drei Wochen ändern. Meist braucht es ein halbes bis ein ganzes Jahr, ehe das Neue das Gewohnte ist.

Mehr zum Thema

1.) Nach den langjährigen Forschungen von Walter Mischel, sind Kinder in ihrem späteren Leben erfolgreicher, wenn sie in vertrauensvoller Umgebung lernen, dass es sich lohnt, sich selbst zu beherrschen und nicht sofort alles zu bekommen, was sie in einem bestimmten Augenblick wollen.

2.) Walter Mischel sagt auch, dass wir uns je nach Situation besser oder schlechter unter Kontrolle haben. Unser Nein zum Weinkauf im Supermarkt heißt nicht zwingend Nein zur Schokolade oder Nein zu einem übermäßigem Einkauf.

3.) Damit Selbstkontrolle gelingt, braucht es auch die Fähigkeit, sich abzulenken, wenn die guten Vorsätze Gefahr laufen, außer Kraft gesetzt zu werden. Außerdem die Entscheidung, sich bestimmten Situationen bewusst zu entziehen und zu akzeptieren, dass der Weg zum Ziel lang und meist ziemlich frustrierend ist.

4.) Selbstkontrolle ja, sagt Professor Walter Mischel, nur nicht ständig, denn ‚ein überkontrolliertes Leben ist ebenso unbefriedigend wie ein unkontrolliertes‘.

5.) Kommt Stress hinzu, dann ist es anstrengender, die Selbstkontrolle aufrecht zu erhalten. Das haben etliche Studien gezeigt, darunter die der Arbeitsgruppe der Neuroökonomin Silvia Maier von der Universität Zürich.

Tipps zum Lesen

Baumeister, R.F., Tierney, J: Die Macht der Disziplin, 2012, Campus Verlag, ISBN: 9783593393605

Maier et al.: Acute Stress Impairs Self-Control in Goal-Directed Choice by Altering Multiple Functional Connections within the Brain’s Decision Circuits. Neuron. August 5, 2015. doi.org/10.1016/j.neuron.2015.07.005, Institut für Volkswirtschaftslehre, Universität Zürich

Mischel, W: Das Marshmallow-Experiment, 2015 (3. Auflage), Siedler Verlag, ISBN: 9783827500434

Spectrum der Wissenschaft: Selbstkontrolle, Gehirn und Geist, Heft 11, 2015

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