Scheitern

„Ich habe mich während des Projektes wie bei einer rasanten Fahrt auf einer langen, geraden Straße erlebt. Erst als ich grandios gescheitert bin, ist mir aufgefallen, dass links und rechts große blickende Warnschilder gestanden hatten. Sie hatte ich einfach ignoriert.“ Rainer F. sollte als Leiter des Gebäudemanagements in einem großen Dienstleistungsunternehmen auf Wunsch seiner Geschäftsleitung seinen Bereich reorganisieren und neue Aufgaben übernehmen. Vor lauter Begeisterung über die hinzubekommene Verantwortung übersah er völlig, dass weder seine Abteilungsleiter noch seine Mitarbeiter bereit waren, seine Ideen mitzutragen und ihn bei seinem Restrukturierungsprojekt gemeinsam geschickt auflaufen ließen. „Wenn ich aufmerksamer gewesen wäre, hätte ich rechtzeitig gemerkt, was um mich herum geschieht und darauf reagieren können. Hinweise seitens der Mitarbeiter gab es genug.“

Der knallharte „Stopp“ seiner Geschäftsleitung für sein Projekt ließ Rainer F. erst einmal verzweifeln. „Ich war doch der Goldjunge, dem schon als Jungmanager immer alles gelungen war. Und plötzlich versage ich. Der unerwartete und schmerzhafte Aufprall an der Karrierewand brachte mich im ersten Moment dazu, alles hinzuwerfen und wegzurennen, weil ich mich so schämte und völlig an mir und meinen Entscheidungen zweifelte.“ Er fürchtete sich davor, dass sein Umfeld heimlich mit dem Finger auf ihn zeigt und ihn auslacht, „auch, weil ich so sehr von mir überzeugt war und sicher den einen oder anderen damit auch genervt habe.“

Im Laufe des Coachings, das er auf Anraten seines Chefs und „zunächst mit viel Widerstand“ begann, erkannte er, dass zum Arbeiten ‚das Fehler machen‘ dazu gehört und Scheitern keine Schande, sondern eine Chance zur Weiterentwicklung und zum Reifen sein kann, „sofern ich bereit bin, zu sehen, dass ich versagt habe, statt die Schuld auf andere zu schieben.“

Rainer F. hat seinen Misserfolg dazu genutzt, genau und selbstkritisch hinzuschauen, welche Fehler er in seinem Projektmanagement gemacht hat. Nach einer gründlichen und umfassenden Analyse der fast 50 Punkte zog er mit seinen Kollegen und seinem Chef eine Reihe von Schlüssen daraus und entschied sich zunächst dazu, sich sowohl fachlich als auch persönlich weiter zu bilden, ehe er das nächste Projekt beginnen wollte.

„Der Bruch in meiner Karriere hat mich lange geschmerzt. Inzwischen bewundere ich Menschen die gescheitert sind, und sei es an ihren eigenen Träumen, und die sich danach aufrappeln und mutig einen Neuanfang wagen.“

 

Checkliste

 

1.) Das plötzliche Aus für ein von uns lange und intensiv bearbeitete Projekt, die allmähliche Erkenntnis, dass der von uns erwählte Beruf doch nicht unser Traumberuf ist, das Ende einer persönlichen Beziehung, die unerwartete Kündigung …, wir können täglich scheitern.

2.) Scheitern gehört spätestens seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies zu unserem Leben dazu. Dennoch schämen wir uns oft genug dafür.

3.) Scheitern gilt hierzulande immer noch als Makel. Vielleicht zeigen wir deshalb so gerne und mit viel Häme auf andere, wenn diese in unseren Augen wieder einmal etwas falsch gemacht haben, weil wir hoffen, dass die anderen dann unsere Probleme und unser Versagen übersehen.

4.) Misserfolge können uns die größten Lernerfahrungen bieten. Wir lernen uns und unsere Kraft und Kreativität kennen und können das nächste Projekt, den nächsten Beruf, die nächste Beziehung anders anpacken als zuvor. Wir sind erfolgreich gescheitert, wenn wir unsere Fehler erkennen, uns verändern und unsere Aufgaben und Herausforderungen neu anpacken.

5.) In der Wissenschaft gehört Trial and Error, gehört Versuch und Irrtum zum wissenschaftlichen Arbeiten dazu. Stellt sich im Laufe der Zeit eine aufgestellte Hypothese oder gar Theorie als falsch heraus, tun sich mit dem Erkennen des falschen Weges neue und oft unerwartete auf.

Tipps zum Lesen

Scheucher, Gerhard, Die Kraft des Scheiterns, 2008, Leykam Verlag, ISBN: 9783701176137

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