‚Ein bisschen Freundlichkeit‘ – ein Plädoyer

Wie wär’s 2015 mit ‚ein bisschen Freundlichkeit? Ohne dass wir damit ein konkretes Ziel verfolgen? Außer uns selbst etwas Gutes zu tun und damit uns das Leben angenehmer zu machen? In dem wir uns selbst beschenken, z. B. mit einem kleinen Lächeln für unser Gegenüber, mit einem freundlicher Blickkontakt oder einem netten Wort? Das ist egoistisch, sagen Sie? Stimmt. Egoistisch entscheiden wir uns dafür, freundlich zu sein, statt Recht haben zu wollen, statt dem anderen zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Einfach so. Wir wollen mit unserer Freundlichkeit nichts erreichen, außer, dass wir für uns den Tag, das schwierige Telefonat mit dem Kunden oder das anstrengende Gespräch mit den Mitarbeitern so gestalten, wie es uns gut tut. Leichter, vielleicht sogar entspannter. Wir machen unsere kleine Welt um uns herum zu einem Ort, an dem wir uns wohler fühlen als ohne unsere Freundlichkeit. Wir verabschieden uns mit unserer Freundlichkeit von unserem Gefühl bei Kleinigkeiten wie der Schlange an der Kasse, dem Parkplatz auf dem firmeneigenen Parkdeck, dem Buffet in der Kantine oder vor dem Aufzug die ersten sein zu müssen und uns deshalb schnell noch vordrängeln.

Verfolgen wir mit unserer Freundlichkeit allerdings den Zweck, dass der anderen uns dies ‚heimzahlen‘ muss und als Gegenleistung auch zu uns freundlich zu sein hat, dann bekommt unser Freundlichkeit einen schalen Beigeschmack, dann verliert sie ihren Glanz und ihre Leichtigkeit. Misstrauisch rechnen wir aus, ob unser Gegenüber uns ebenso viel ‚zahlt‘ wie wir ihm gegeben haben. Wir verstecken uns hinter unserer scheinbaren Freundlichkeit, weil wir meinen, keine Schwäche zeigen zu können und dem anderen zu zeigen, wie unsicher wir uns in vielen Situationen fühlen. Und gleichzeitig machen wir uns abhängig von unserem Gegenüber, denn er bestimmt durch seine Gegenleistung, ob wir uns ausreichend wertgeschätzt fühlen.

Stattdessen können wir uns jeden Tag aufs Neue dazu entschließen, freundlich zu sein, weil wir es für uns wollen, weil wir unseren Alltag zwischendrin ohne Konkurrenzkampf leben und ohne ‚aber ich habe Recht‘ erfahren möchten.

Die Probleme der Welt werden sich dadurch kaum lösen lassen und der Konflikt im Team womöglich auch nicht. Mit dem kleinen Unterschied: dieses ‚bisschen Freundlichkeit‘ tut uns gut, ganz egoistisch und am Ende doch ziemlich sozial.

Checkliste

 

1.) Unsere Freundlichkeit tut vor allem uns gut. Gleichzeitig kann sie unserem Gegenüber signalisieren, dass wir offen sind für eine Kommunikation, z. B. für einen kurzen Smalltalk.

2.) Freundlichkeit ist eine Tugend. Doch oft wird sie als Schwäche angesehen. Nach dem Motto, die sind freundlich, weil sie sich nicht trauen, ihre Meinung zu sagen. Sie wird dann vielfach als Schwäche angesehen oder als berechnendes Verhalten. Dabei schließen sich Freundlichkeit und gleichzeitige Klarheit keineswegs aus.

3.) Die Frage, ob wir von Natur aus freundlich sind ohne Anspruch an den anderen oder ob wir vor allem freundlich sind, weil wir damit etwas erreichen möchten, hat bereits Gelehrte der Antike, wie Seneca und Aristoteles beschäftigt.

Tipps zum Lesen

Brigitte Woman, 12, 2014

Philipps, Adam, Taylor, Barbara: Freundlichkeit: Diskrete Anmerkungen zu einer unzeitgemäßen Tugend, 2010, Klett-Cotta Verlag, ISBN 9783608946093.

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